Tours-Austausch 2017

"C?est ça, l?Europe!" - dieser Ausruf des französischen Schulleiters, Monsieur Cerruti, angesichts der im Schulhof des Lycée Sainte Ursule in Tours versammelten Schülerinnen und Schüler aus Deutschland und Frankreich ist nur ein Zeichen dafür, dass dieses Mal - mehr als in der Vergangenheit ohnehin schon - die europäische Dimension unserer Austauschbegegnung im Zentrum stand.
Ein Grund für das klarere Bewusstsein von dem Wert, ja der Notwendigkeit des europäischen Zusammenhaltes war die Tatsache, dass die Touraine mit ihrer reichen Tradition und Geschichte das Abendland und damit die Wurzeln des heutigen Europas plastisch werden lässt, ein anderer Grund ist auch die Sorge um die europäische Zukunft angesichts des allenthalben wachsenden Nationalismus und der zunehmenden Europaskepsis.
Am 8. November machten wir uns - wie schon seit über dreißig Jahren - für 9 Tage auf zu unserer gleichnamigen Partnerschule, wo uns unsere französischen Gastgeber freundlich willkommen hießen und herzlich bei sich aufnahmen.

Nach einer Stunde angeleiteter Recherche im CDI – dem in allen französischen Schulen zu findenden „Centre de documentation et d’information“ – zur Geschichte von Tours und zur Kulturlandschaft der Loire, die der Vorbereitung einer kleinen, späteren Präsentation diente, fanden wir uns um 10 Uhr zu einer Führung durch die Innenstadt von Tours zusammen. Dabei erfuhren wir viel Interessantes über die keltischen Ursprünge, die römische Blüte und die mittelalterliche Bedeutung der Stadt, die mit der Martinsbasilika, von der heute nur noch zwei Türme stehen, einst die größte Kirche der Christenheit und mit dem Grab des Bischofs Martin von Tours auch einen der bedeutendsten Heiligen des Mittelalters beherbergte. Von der heutigen Kathedrale Saint Gatien über die Einkaufsstraße Rue nationale, durch das mittelalterliche Stadtvierte um die Place Plumereau bis zu den Halles de Tours lernten wir die wichtigsten Orte der Stadt kennen.
Am Nachmittag stand das ccc od, das „Centre de création contemporaine Olivier Debré“, in Tours auf dem Programm, wo wir einen spannenden, abwechselnd mal lustigen, mal befremdlichen Einblick in das Schaffen einiger zeitgenössischer Künstler erhielten, wie unter anderem dem Deutschen Klaus Rinke oder dem Südkoreaner Lee Ufan.
Nach der eher gewichtigen künstlerischen Kost durften die Schülerinnen für den Rest des Tages, versehen mit einigen Hinweisen und ausgestattet mit einem Stadtplan, die Stadt weiter selbst erkunden, ehe sie sich gegen 17.00 Uhr wieder mit ihren Austauschpartnern an der Schule trafen.
Am Freitagvormittag erwarteten die Schülerinnen – je nach Stundenplan ihres/r Austauschpartners/in – mehrere Stunden Schulunterricht. Hier erlebten die Freiburger Ursulaschülerinnen unter anderem Unterricht in den Fächern Französisch, Italienisch, Deutsch und Physik – letzteren sogar auf Englisch. Vor dem Mittagessen trugen die Schülerinnen sich gegenseitig in kurzen Präsentationen die Ergebnisse ihrer Recherche vom Vortag zu den Sehenswürdigkeiten des Loire Tals vor.

Dort erwartete uns eine sehr engagierte und eindrückliche Führung durch die abendländische Kunstgeschichte, welche uns im Angesicht originaler Werke aller Epochen durch den Museumspädagogen Jean-Paul plastisch vor Augen geführt wurde.
Mit künstlerisch geschärftem Blick waren die Schülerinnen nach dem Museumsbesuch aufgefordert, durch Tours zu streifen, sich auf die Suche nach dem „französischsten Motiv“ zu machen und Fotos zu schießen.
Das leider recht verregnete Wochenende verbrachten unsere Mädchen in ihren Gastfamilien. Durch gemeinsame Aktivitäten – wie beispielsweise einem Bowlingabend oder einer Geburtstagsparty –, zu denen sich viele Deutsche und Franzosen verabredeten aber auch durch Ausflüge – wie zum Beispiel ins Futuroscope oder zu Loireschlössern wie Chenenceau oder Chambord – trat das schlechte Wetter in den Hintergrund und überwog die Freude an den gemeinsamen Unternehmungen.

Der gemeinsame französisch-deutsche Ausflug war für Dienstag, 14. November, vorgesehen. An diesem Tag besichtigten wir im Wechsel - mit insgesamt 44 Schülerinnen und Schülern war die Gruppe ja recht groß - und in gemischten Gruppen zum einen das Schloss von Blois und zum anderen die "Fondation du doute", unweit des Schlosses. Während uns das Schloss über die Geschichte der Katharina von Medici, als Frau von Heinrich II. selbst französische Königin und Mutter dreier weiterer französischer Könige, nochmals die enge Verflechtung Italiens und Frankreichs in der Zeit der Renaissance vor Augen führte, waren bei der Besichtigung der "Fondation du doute" Zweifel angebracht: "Créer c?est douter et douter c?est créer" - schöpferisch sein, heißt zweifeln, zweifeln heißt schöpferisch sein -, so die Maxime oben am Gebäude der "Fondation du doute", die weder Museum noch Kunstzentrum sein möchte, sondern sich als Ort versteht, an dem der Geist der Künstlergruppe "Fluxus" um den französischen Künstler Ben Vautier weht. Bekannt ist dem äußeren Betrachter vor allem die Außenfassade des Gebäudes, an der verschiedenfarbige und unterschiedlich große Blechtafeln mit mal (un)sinnigen, mal hintergründigen, mal schlicht-schlauen Sprüchen und Weisheiten angebracht sind. Diese werden gerne auch auf Postkarten überall in Frankreich verkauft.
Exotisches und typisch Kulinarisches erwartete uns am Mittwoch, 15. November, in Rochecorbon. Nach einer eineinhalbstündigen morgendlichen Wanderung am Ufer der Loire entlang erreichten wir gegen 10 Uhr "Terre exotique". In diesem kleinen, im Kolonialstil eingerichteten Landhaus erwartete uns Adeline, um uns den Geschmack und den Geruch verschiedenster Produkte, vielfach aus ehemaligen französischen Kolonialgebieten, nahe zu bringen: Auf zwei Etagen und in mehreren Räumen konnten wir dutzende Sorten roten, grünen schwarzen und weißen Pfeffers, aromatisiertes Salz und Zucker mit verschiedensten Geschmacksnoten, eine Vielzahl an Tee-, Kakao- und Kaffeesorten, Aufstriche und Cremes aus unterschiedlichsten Früchten probieren.

Am Nachmittag ließen wir die vormittäglichen Eindrücke und Genüsse bei einer Bootsfahrt auf der Loire – einer „Mini-croisière“ – nachklingen. Auf dem Boot wurden wir in die Natur und die Geschichte dieses nach dem Rhein mit 1004 Km längsten Flusses Frankreichs eingeführt wurden, dessen Kulturlandschaft als UNESCO-Weltkulturerbe klassifiziert ist.
Der vorletzte Tag führte uns wieder an die Schule zurück. Die deutschen Schülerinnen nahmen zunächst abermals am französischen Schulunterricht teil und wurden dann später am Vormittag von Johan, dem Musiklehrer unserer Partnerschule, theoretisch und praktisch in die Musik und die Tänze der Renaissance eingeführt. Nach eineinhalb Stunden Einweisung und Übung kannten wir die Pavane sowie die Gaillarde und tanzten schließlich alle zusammen mit französischen Schülerinnen und Schülern der Musikklasse von Johan einen Branle.

So hat uns nicht nur die Erfahrung gemeinsamen Genießens, Tanzens und Sprechens, sondern vor allem die menschliche Begegnung und der gegenseitige Austausch über allerlei sichtbare und unsichtbare Grenzen hinweg einmal mehr erfahren lassen, wie schön, wie bereichernd und wie lehrreich eine solche deutsch-französische Zeit sein kann.
Am Freitag, den 17. November, haben wir Tours wieder Richtung Schwarzwald verlassen, verabschiedet von unseren Gastgebern und Austauschpartnern. Nun freuen wir uns auf den Gegenbesuch der Franzosen im April 2018 und hoffen, dass vor allem auch bei den Schülerinnen und Schülern das Bewusstsein der europäischen Zusammengehörigkeit sich nicht im Besuch des Europaparks erschöpft.
Th. Ernst